Newsletter INTERPRET 1/2023
März 2023
Neues von INTERPRET
Liebe Leser*innen,
Gleich zu Beginn des Jahres sorgte ein Dolmetschversehen für Aufsehen: Nach ihrem Sieg im Riesenslalom sprach die US-amerikanische Skifahrerin Mikaela Shiffrin im Interview mit dem ORF über den Zusammenhang zwischen ihrem Monatszyklus und ihrer Fitness. Monatszyklus - "monthly cycle" auf Englisch - wurde vom Dolmetscher des österreichischen Fernsehens jedoch als "Radfahren" wiedergegeben. Der Fehler wurde bemerkt und sorgte für viele - meist augenzwinkernde - Kommentare über Tabuthemen im Sport. Hier etwa die Reaktion der Athletin selbst:
Die Episode zeigt: Dolmetscharbeit muss nicht nur Sprachgrenzen überwinden, sondern auch ein "offenes Ohr" für unerwartete oder oft unausgesprochene Themen haben. Eine Herausforderung. Wir bei INTERPRET freuen uns, Ihnen in diesem Newsletter eine Auswahl an Aktivitäten präsentieren zu können, über die wir uns mit dieser Herausforderung auseinandersetzen.
Viel Freude bei der Lektüre wünscht
das Team INTERPRET
Erteilte Fachausweise 2022
In der Prüfungssession im November 2022 haben fünf Kandidat*innen die Berufsprüfung mit allen Prüfungsteilen bestanden. Wir gratulieren den neuen Fachausweis-Inhaberinnen ganz herzlich zur erlangten Qualifikation auf Tertiärstufe:
- Frau Soha Béchara-Rochat mit der Dolmetschsprache Arabisch, aus dem Kanton Waadt
- Frau Soraya Chorfi mit der Dolmetschsprache Arabisch, aus dem Kanton Zürich
- Frau Awaz Saleh mit der Dolmetschsprache Arabisch, aus dem Kanton Luzern
- Frau Tamara Weber-Dworak mit der Dolmetschsprache Polnisch, aus dem Kanton Solothurn
- Frau Eman Zekry mit der Dolmetschsprache Arabisch, aus dem Kanton Luzern
Insgesamt haben in der Prüfungssession 2022 zwölf Kandidat*innen die Berufsprüfung abgelegt oder einzelne Prüfungsteile wiederholt. Drei Personen kamen aus der Romandie, neun aus der Deutschschweiz. Sechs, also die Hälfte, sind mit der Dolmetschsprache Arabisch angetreten, während je eine Person Polnisch, Spanisch, Thai und Türkisch dolmetschte.
Pilotprojekt neue Basisqualifikation für Dolmetschende
Im Rahmen der Revision des Qualifizierungssystems INTERPRET wird zwischen Februar und Juni 2023 eine neue Basisqualifikation für Dolmetschende getestet.
Die neue Basisqualifikation besteht aus Kurs und Prüfung und führt zum Zertifikat INTERPRET. Neben dem Dolmetschen im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen beinhaltet sie neu auch das Dolmetschen im Asyl- und Justizwesen sowie das Telefon- und Videodolmetschen. Die Prüfung umfasst unter anderem auch eine praktische Dolmetschprüfung.
Eckwerte zum Pilotprojekt:
- Der Kurs und die Prüfung werden in französischer Sprache durchgeführt. Kursort ist Fribourg.
- Zu den 16 Teilnehmenden gehören Dolmetschende aus den Bereichen Asyl & Justiz, Bildung & Soziales sowie Gesundheit.
- Der Kurs umfasst Elemente des Blended Learning und insgesamt 90 Kursstunden (bisher 120 Kursstunden).
INTERPRET ist für die Durchführung und die Evaluation des Pilotprojekts verantwortlich. Die Ergebnisse der Evaluation werden im September 2023 publiziert und dienen INTERPRET als Grundlage für Empfehlungen zuhanden der Ausbildungsinstitutionen, die ab 2024 Basiskurse für Dolmetschende gemäss eigenem Konzept organisieren können. Erste reguläre Zertifikatsprüfungen sind ab August 2024 geplant.
Die Durchführung und die Evaluation des Projekts erfolgen mit finanzieller Unterstützung durch das SEM und das BAG.
Neuausrichtung Interkulturelles Vermitteln
Seit 2021 hat INTERPRET im Rahmen eines Vorprojekts Möglichkeiten für eine eigenständige schweizweite Qualifizierung von interkulturell Vermittelnden (ikV), d.h. Schlüsselpersonen, Integrationshelfer*innen, Brückenbauer*innen, etc. ausgelotet. Mitte Februar 2023 wurde nun der Abschlussbericht dem SEM vorgelegt.
Der Bericht empfiehlt drei Handlungsfelder für eine schweizweite Anerkennung der ikV-Arbeit in Zukunft:
- Programme und Projekte, die einen niederschwelligen Einstieg zu ikV-Tätigkeiten bieten, unter einem gemeinsamen Auftritt zu vereinen, beispielsweise über einen Berufskodex.
- Mit einer Neuorientierung der bisherigen Module 6-9 Ausbildungsmöglichkeiten auf hohem Kompetenzniveau entwickeln.
- Durchlässigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten zwischen ikV-Tätigkeiten mit niederschwelligem und solchen mit hohem Kompetenzniveau zu ermöglichen sowie weitere professionelle Anschlussoptionen zu schaffen.
INTERPRET hat sich dazu entschieden, als nächste Schritte die Verfassung eines Berufskodexes und die Weiterentwicklung der Module 6-9 anzugehen.
Dabei ist es ein Anliegen, die Standpunkte der verschiedenen Institutionen, die interkulturell Vermittelnde bzw. Schlüsselpersonen etc. ausbilden und mit ihnen arbeiten, einzubeziehen. Ideen und Initiativen sind herzlich willkommen.
Neue Technologien - Neue Arbeitsbedingungen
Dass Digitalisierung unsere Kommunikation verändert, ist heute weit anerkannt. Inwiefern Digitalisierung auch Änderungen für verdolmetschte Kommunikation bedeuten kann, zeigt eine aktuelle Debatte aus Deutschland: Im Januar 2023 veröffentlichte der deutsche Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) zusammen mit dem deutschen Verband der Konferenzdolmetscher (VKD) ein Positionspapier, in dem gefordert wird, dass die Arbeitsbedingungen von Konferenzdolmetscher*innen in hybriden (online und vor Ort zugleich) und Online-Konferenzen an die technischen Konditionen angepasst werden.
Das Positionspapier hebt etwa hervor, dass beim Ferndolmetschen mehr Geräte gehandhabt werden müssen und ihre Abstimmung entsprechend komplexer ist, als bei Konferenzen vor Ort. Je mehr die Bedienung solcher Geräte und Anwendungen in der Verantwortung der Dolmetscher*innen liegt - und nicht etwa in der Verantwortung von Technikpersonal vor Ort - , umso weniger können sie sich auf die eigentliche Dolmetscharbeit konzentrieren. Weiter führen mangelhafte Tonqualität und schlechte oder fehlende Bildausschnitte dazu, dass Dolmetscher*innen die kommunikative Situation nicht ganzheitlich erfassen können. Ferndolmetschen ist daher tendenziell anstrengender als Dolmetschen vor Ort. Störgeräusche und schlechte Tontechnik gefährden unter Umständen sogar die Hörgesundheit der Dolmetschenden.
BDÜ und VKD fordern daher, dass Auftragsgeber*innen der Dolmetscher*innen in der Einrichtung ihrer Infrastruktur und in den Anstellungsbedingungen diesen Umständen Rechnung tragen:
- eine hohe, den Normen entsprechende Ton- und Videoqualität, die eine ganzheitliche Erfassung der Kommunikationssituation ermöglicht
- die Einhaltung kürzerer Einsatz- und längerer Pausenzeiten fürs Ferndolmetschen
- den Einsatz einer ausreichenden Anzahl an Dolmetscher*innen pro Anlass, d.h. evtl. von mehr Dolmetscher*innen, als für denselben Anlass in einer Konferenz vor Ort nötig wären.
Das Positionspapier beschäftigt sich zwar spezifisch mit Simultandolmetschen an Konferenzen. Die Debatte wirft jedoch auch Fragen zum konsekutiven Ferndolmetschen auf. Welche veränderten Kommunikationsbedingungen sind dort relevant? Was sind die Erfahrungen unserer Leser*innen?
INTERPRET im 2023
In den kommenden Monaten finden diverse Anlässe und Treffen statt, bei der wir über das Dolmetschen und interkulturelle Vermitteln austauschen und konkrete Schritte zu mehr Verständigung in der Schweiz unternehmen. Zum Vormerken und Vorfreuen:
- 25. Mai 2023: Mitgliederversammlung INTERPRET und anschliessendes gemeinsames Zmittag mit den Vereinsmitgliedern
- 4. September 2023: Austauschtreffen mit Vertreter*innen von Vermittlungsstellen und Ausbildungsinstitutionen
- 16. September 2023: INTERPRET Fachtagung, öffentlicher Fachinput und Austausch zu einem spannenden und aktuellen Thema aus der Dolmetschwelt
- 20.-22. November 2023: Berufsprüfungen
Übrigens: Auf unserer Website informieren wir laufend zu spannenden Anlässen rund um Migration, Dolmetschen und verwandte Themenbereiche: Veranstaltungen