Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit
Damit die Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden nicht spontan und sporadisch bleibt, sind eine nachhaltige Verankerung bzw. Institutionalisierung und die Sicherstellung der Finanzierung anzugehen. An dieser Stelle wird auf folgende Punkte eingegangen:
- Handlungs- und Wirkungszyklus für die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden
- Rechtsanspruch
- Finanzierung
- Verankerung durch rechtliche und programmatische Grundlagen
- Kantonale Integrationsprogramme KIP
- Projekte im Rahmen der KIP
Neben verlässlichen Rahmenbedingungen ist ebenfalls die Qualitätssicherung von Dolmetschleistungen von zentraler Bedeutung.
„Ich finde es nicht ideal, wenn nur einige wenige Fachpersonen mit interkulturell Dolmetschenden arbeiten. Wir sollten eine gemeinsame Praxis finden, damit alle Klientinnen und Klienten oder deren Eltern gleichermassen informiert werden.“
Case Managerin, Abteilung Beratung und Integration, Luzern
Handlungs- und Wirkungszyklus für die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden
Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit Fachpersonen mit interkulturell Dolmetschenden zusammenarbeiten?
In der von INTERPRET durchgeführten IIZ-Studie (Soziale Sicherheit CHSS, 3/2016 oder INTERPRET > Projekte und Veröffentlichungen) geben Fachpersonen an, dass sie nicht oder selten mit interkulturell Dolmetschenden zusammenarbeiten, weil
- sie die unterschiedlichen Instrumente der interkulturellen Verständigung nicht oder nur ungenügend kennen;
- sie selten Gesprächssituationen erleben, in welchen interkulturelles Dolmetschen hilfreich und sinnvoll wäre, und sie die Dienstleistung deshalb vergessen;
- sie nicht wissen, wie die Dienstleistung bestellt werden kann und ihnen die Erfahrung fehlt, wie ein Gespräch unter Einbezug interkulturell Dolmetschender zu führen wäre;
- sie den Vorteil der professionellen Dienstleistung für ihre Beratungsarbeit – insbesondere gegenüber privaten Übersetzungshilfen – nicht kennen;
- die Budgetierung und Finanzierung unklar oder nicht bekannt sind;
- strukturelle und technische Hürden innerhalb ihrer Institution einer standardisierten und praktikablen Zusammenarbeit mit Dolmetschenden im Weg stehen;
- die Verständigungsformen in ihrer Institution oder persönliche Einstellungen von Fach- und Leitungspersonen die Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden behindern.
Diese Begründungen lassen sich als Handlungs- und Wirkungsfaktoren in einem Zyklus zusammenbringen:
Eine langfristige und konsistente Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden kann sich nur dann einstellen, wenn Bemühungen in allen fünf Phasen des Handlungs- und Wirkungszyklus stattfinden. Die Regelung der Finanzierung alleine führt zum Beispiel nicht zwingend zu einer Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden, solange die operative Leitung nicht hinter der Dienstleistung steht.
Rechtsanspruch
In der Schweiz besteht nur im Asylverfahren sowie in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ein direkter Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen. Intensiv diskutiert wird diese Frage aber auch im Gesundheitsbereich, in welchem mit der hinreichenden Aufklärung und Einwilligung des Patienten im Vorfeld eines medizinischen Eingriffs (informed consent) die Informationspflicht der medizinischen Fachpersonen verankert ist.
Zu den Verpflichtungen des Staates sowie der rechtlichen Steuerung des interkulturellen Dolmetschens wurden mehrere Studien und Stellungnahmen verfasst (siehe Infothek, Filter "Rechtsanspruch").
Aufklärungs- und Informationspflicht
Achermann und Künzli kommen in einem Gutachten zuhanden des BAG (2008) zum Schluss, dass im Gesundheitswesen aufgrund der Aufklärungs- und Informationspflicht ein Rechtsanspruch auf interkulturelles Dolmetschen besteht. Dies gilt sowohl für medizinische Fachpersonen in öffentlichen Spitälern als auch für Privatärzt*innen in eigener Praxis oder in Privatspitälern. In welcher Form diesem Grundsatz Rechnung getragen werden muss, ist allerdings nicht abschliessend geregelt. Entsprechend unterschiedlich ist die Handhabung in Bezug auf das Dolmetschen, insbesondere was die Finanzierung angeht.
Finanzierung
In Asyl-, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ist die Finanzierung von Dolmetschleistungen aufgrund des Rechtsanspruchs auf eidgenössischer Ebene geregelt. In den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung hingegen bestehen keine einheitlichen Regelungen. Einzelne Behörden, Institutionen und Auftraggeber sind in der Regel für die Klärung der Finanzierung zuständig. Die föderale Struktur erschwert die Schaffung einer kantonalen oder gar gesamtschweizerischen Lösung – auch innerhalb der unterschiedlichen Bereiche.
Bereichsspezifische Informationen dazu finden Sie in den jeweiligen Rubriken (Gesundheit, Soziales, Bildung, Asylwesen, Behörden und Gerichte).
Verankerung durch rechtliche oder programmatische Grundlagen
Die Zuständigkeiten für die Regelung der Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden ist in den verschiedenen Bereichen auf unterschiedlicher Ebene geregelt (Bund, Kantone, Gemeinden). Eine Übersicht ist aufgrund der föderalen Strukturen nicht realisierbar. Die Verankerung des interkulturellen Dolmetschens als professionelle Leistung ist nur sehr vereinzelt in konkreten Vorgaben festgehalten.
Rechtliche Grundlagen, wo sie denn existieren, garantieren, dass interkulturelles Dolmetschen verbindlich als ein Mittel zur Kommunikation der öffentlichen Dienste mit der allophonen Bevölkerung eingesetzt wird. Durch Leitbilder, Integrationskonzepte oder Massnahmenpläne können Kantone oder Gemeinden für einen – in der Regel – zeitlich beschränkten Rahmen Schwerpunkte und Zielvorgaben definieren. Diese Vorgaben oder Instrumente sind programmatischer Natur und unterschiedlich verbindlich, in der Mehrheit haben sie nur empfehlenden Charakter.
Beispiele für existierende Grundlagen sind:
- Kanton Bern: BKSE – Handbuch Sozialhilfe, Stichwort "Uebersetzungskosten"
- Stadt Biel: IKü-Verordnung
- Kanton Schaffhausen: Tipps für den Verwaltungsalltag
- Kanton Waadt: Das medizinische Personal des Gesundheitsnetzwerks RESAMI arbeitet mit interkulturell Dolmetschenden, die Kosten werden vom Kanton getragen.
- Kanton Zürich: Zusammenarbeit mit fremdsprachigen Eltern
Kantonale Integrationsprogramme KIP
Seit 2014 regeln Bund und Kantone die spezifische Integrationsförderung im Rahmen von kantonalen Integrationsprogrammen (KIP). Diese stützt sich auf drei Pfeiler:
- Information und Beratung
- Bildung und Arbeit
- Verständigung und gesellschaftliche Integration
Im Pfeiler 3 sind strategische Programmziele zum "interkulturellen Dolmetschen" vorgegeben: "Für anspruchsvolle Gespräche mit Migrantinnen und Migranten (zum Beispiel komplexe Sachverhalte, Situationen mit weitreichenden Konsequenzen etc.) steht den Mitarbeitenden von Regelstrukturen ein professionelles Angebot im Bereich des interkulturellen Dolmetschens und Vermittelns zur Verfügung." Das heisst, die Kantone können im Rahmen ihres KIP strukturelle und qualitätsfördernde Massnahmen unterstützen, grundsätzlich nicht finanzierbar über die KIP sind hingegen die Kosten der Dolmetscheinsätze.
Von den Kantonen im Rahmen der KIP gewählte Massnahmen, welche zur Qualitätsentwicklung des interkulturellen Dolmetschens beitragen, sind unter anderem:
- Transparente Leistungsvereinbarungen mit den Vermittlungsstellen
- Sensibilisierungsmassnahmen zum interkulturellen Dolmetschen, Bekanntmachung der Angebote über Flyers, Webseiten usw.
- Förderung der Ausbildung von interkulturell Dolmetschenden
- Förderung der Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden mittels befristeten Pilotprojekten/Gutscheinsystemen etc., welche wissenschaftlich hinsichtlich der Qualität der Zusammenarbeit begleitet werden.
Pilotprojekte im Rahmen der KIP
Einzelne Kantone haben Projekte lanciert, die den Bezug und die Finanzierung von interkulturell Dolmetschenden in den unterschiedlichsten Bereichen ermöglichen. Diese kurz- bis mittelfristig angelegten Projekte mit dem Charakter einer "Anschubfinanzierung" können im Rahmen der KIP für maximal vier Jahre unterstützt werden.
Die Wirkung ist entsprechend begrenzt, da die Hindernisse für die Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden nicht primär auf der Ebene der Sensibilisierung zu suchen sind, sondern ebenso sehr im Fehlen der nachhaltigen Verankerung und der Finanzierungssicherheit.
INTERPRET sind folgende Pilotprojekte bekannt:
- Kanton Basel-Landschaft: Pilotprojekt 2014-2015; Promotionsaktion für kommunale Sozialdienste, Primarschulen (inkl. Kindergarten) sowie Mütter- und Väterberatungen. Projektevaluation durch Martina Brägger (Landert Partner): Schlussbericht
- Kanton Basel-Stadt:
Pilotprojekt 2018-2019; Dolmetschen in Arztpraxen
Dolmetschen in Arztpraxen - Kanton Graubünden:
"Trialog – Interkulturelles Dolmetschen in Arztpraxen"; Pilotprojekt
2015-2018; Gutscheine für Haus- und Facharztpraxen. Seit März 2018 wird das
Projekt mit einem Gutscheinsystem und fixem Kostendach weitergeführt
(ko-finanziert von Gesundheitsamt, Fachstelle Integration und Sozialamt
Graubünden).
Interkulturelles Dolmetschen in Arztpraxen im Kanton Graubünden - Kanton Nidwalden:
Fremdsprachige Eltern erhalten mit Hilfe von interkulturell Dolmetschenden in
der Geburtenabteilung Informationen über die Mütter- und Väterberatung.
Dolmetschen im Spital - Kanton Uri: Pilotprojekt 2013-2017; Dolmetschergutscheine an RAV; durch die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden konnten Informationen einfacher und umfassender vermittelt werden. Das Projekt wurde im Rahmen der IIZ-Studie von INTERPRET beurteilt: Bericht Teil B: Regionale Arbeitsvermittlung RAV
- Der Kanton Schaffhausen stellt finanzielle Mittel für das interkulturelle Dolmetschen und Vermitteln im
Gesundheitswesen zur Verfügung. Frei praktizierende Ärzt*innen und
Therapeut*innen können ein Gesuch stellen.
Integres nimmt das Gesuch für Kostengutsprache entgegen. - Kanton St.
Gallen: Pilotprojekt 2011-2012; Dolmetschergutscheine an RAV und
Sozialämter; Durch die Zusammenarbeit mit Dolmetschenden konnte die
Beratungsdauer verkürzt und Informationen besser vermittelt werden.
Projektevaluation durch Martina Brägger (Landert Partner): Schlussbericht, Kurzbericht