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November 2019
Erhebliche Sprachbarrieren im Gesundheitsbereich
Liebe Leserinnen, liebe Leser
Rund 150'000 Einsätze von interkulturell Dolmetschenden und Vermittelnden pro Jahr - das sind die Hälfte aller Einsätze - finden im Gesundheitsbereich statt. Und trotzdem: Haus- und Kinderärzt*innen arbeiten kaum mit professionellen interkulturell Dolmetschenden zusammen. Jäger stellt in ihrer Studie erhebliche Sprachbarrieren fest, die Gründe für eine fehlende Zusammenarbeit sind finanzieller und organisatorischer Art.
INTERPRET fordert daher einmal mehr: es muss endlich wieder einen Schritt vorwärts gehen! Das sehen auch die NR Arslan und Gugger so, welche in der Herbstsession zwei parlamentarische Vorstösse eingereicht haben.
Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre,
Team INTERPRET
Neue parlamentarische Vorstösse zum interkulturellen Dolmetschen
In der Herbstsession 2019 wurden zwei Vorstösse zum interkulturellen Dolmetschen eingereicht:
- Motion 19.4279 "Notwendige Dolmetscherdienste in der Arztpraxis und im Ambulatorium" von Sibel Arslan
- Interpellation 19.4357 "Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten. Verstehen und verstanden werden - Finanzierung von interkulturellem Dolmetschern im ambulanten Bereich" von Niklaus-Samuel Gugger
Eine Zusammenstellung aller Vorstösse finden Sie in der Infothek von INTERPRET (zum Beispiel mit dem Filter Publikationsart / Regulatorisches).
Erhebliche Sprachbarrieren bei Haus- und Kinderärzten
Dass die fehlende Regelung der Finanzierung in der Praxis ein grosses Problem darstellt, macht ebenfalls eine Studie von Fabienne Jäger zur Bedeutung von professionellen interkulturell Dolmetschenden in der medizinischen Grundversorgung deutlich. Jäger stellt zudem fest, dass es einer Optimierung betreffend der Organisation von Dolmetschenden bedarf.
Die Studie enthüllt eine besorgniserregende medizinische Versorgungslage von fremdsprachigen Patient*innen. Aufgrund von Sprachbarrieren berichten Haus- und Kinderärzt*innen u.a. von folgenden Schwierigkeiten:
- 50-60% der Haus- und Kinderärzt*innen berichten über Schwierigkeiten bei der Diagnose und Therapie.
- 60-70% der Haus- und Kinderärzt*innen haben den Eindruck, dass sie aufgrund von Sprachbarrieren keine qualitativ hochstehende Leistung erbringen können.
Bei der Suche nach Gründen für die fehlende Zusammenarbeit mit interkulturell Dolmetschenden hat Jäger nach dem Hauptgrund und nach weiteren Gründen gefragt:
- Den Hauptgrund sehen die Haus- und Kinderärzt*innen im fehlenden Wissen, wie man Dolmetschende organisiert (30%), in organisatorischen Aspekten (26%) und in der fehlenden Finanzierung (25%).
- Als weitere Gründe geben knapp 60% der Haus- und Kinderärzt*innen an, dass die Organisation der Dolmetschenden zu umständlich ist. Rund 50% führen die fehlende Finanzierung als weiterer Grund an.
Jäger diskutiert die Studienergebnisse in den folgenden zwei Artikeln (englisch):
Überarbeitete Homepage von INTERPRET
INTERPRET hat die Rubrik "Interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln" ausgebaut und neu strukturiert:
- Interkulturelles Dolmetschen, Interkulturelles Vermitteln: Die unterschiedlichen Angebote (u.a. auch Telefon- und Videodolmetschen) und deren Herausforderungen werden vorgestellt.
- Rahmenbedingungen, Qualitätssicherung: Die unterschiedlichen Aspekte, welche eine professionelle, strukturierte und institutionalisierte Zusammenarbeit begünstigen, werden aufgeführt.
- Gesundheit, Soziales, Bildung, Asylwesen, Behörden und Gerichte: Die unterschiedlichen Bereiche, die Bedeutung des interkulturellen Dolmetschens und aktuelle Entwicklungen werden beschrieben.
Gesundheitskompetenz: Verständlich informieren und beraten
Gesundheitskompetent ist, wer im Alltag Entscheidungen treffen kann, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Die neueren Erkenntnisse zur Gesundheitskompetenz in der Schweiz zeigen jedoch, dass über die Hälfte der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, Gesundheitsinformationen überhaupt zu verstehen, zu verarbeiten oder anzuwenden. Gefragt sind daher Strategien und Methoden für eine wirksamere Kommunikation – das interkulturelle Dolmetschen ist ein wichtiges Instrument dabei.
Der Praxisleitfaden "Gesundheitskompetenz. Verständlich informieren und beraten" der Allianz Gesundheitskompetenz unterstützt Organisationen und Fachpersonen in dieser Hinsicht.
- Leitfaden Gesundheitskompetenz (de) (PDF, 4.68 MB)
- Guide pratique Compétences en santé (fr) (PDF, 4.62 MB)
- Guida pratica (it) (PDF, 4.51 MB)
Diese und weitere Informationen zu Gesundheitskompetenz finden sich ebenfalls bei:
Mamamundo-Kurse an der Frauenklinik des Luzerner Kantonsspital
Beitrag von Isabelle Häfliger, operative Projektleitung Mamamundo, Caritas Luzern
Mamamundo – Geburtsvorbereitungskurse für schwangere Migrantinnen – bietet die Möglichkeit, besonders vulnerablen Schwangeren mit Migrationshintergrund Informationen und Beratung rund um die Schwangerschaft, Geburt, das Wochenbett sowie Entspannungsübungen zu vermitteln.
Die Mamamundo-Kurse werden von Hebammen geleitet, welche in ihrer Arbeit von interkulturellen Vermittlerinnen unterstützt werden. Diese werden vom Verein Mamamundo speziell geschult und auf ihre Aufgabe vorbereitet.
Durch die gemeinsame Sprache und Herkunft finden die interkulturellen Vermittlerinnen Zugang zu den schwangeren Frauen. Sie gestalten den Verständigungsprozess aktiv mit, zeigen Hintergründe auf und klären bei Bedarf Missverständnisse. Zum Beispiel gelingt es so besser, die Angst vor einer Einleitung oder einem Kaiserschnitt als Eingriffe in den natürlichen Ablauf einer Geburt zu thematisieren und zu verstehen.
Die Luzerner Frauenklinik kann
Dank Unterstützung von kantonalen Mitteln sowie Geldern von der
Gesundheitsförderung Schweiz während der Projektphase 2018 bis 2021 unter der
Projektleitung der Caritas Luzern jährlich drei Kurse in neun möglichen
Sprachen durchführen.
Die grösste Herausforderung liegt in der Erreichbarkeit der Zielgruppe. Die Migrantinnen müssen oft von der Nützlichkeit dieser Kurse überzeugt werden. Dafür braucht es persönliche Gespräche, viel Geduld und auch Hartnäckigkeit.
Das Ambulatorium der Frauenklinik, Beratungsstellen, Sozialdienste,
Mitarbeitende von Asylunterkünften sowie GynäkologInnen sind aufgefordert, die schwangeren
Migrantinnen in einem ersten Schritt über diese Kurse zu informieren und sie
bei der Anmeldung zu unterstützen. Auch spielen die interkulturellen
Vermittlerinnen beim Aufsuchen der schwangeren Frauen eine wichtige Rolle.
- Weitere Informationen zu den Kursen in Luzern sind hier zu entnehmen.
- Schweizweit werden die lizenzierten Mamamundo-Kurse in den Kantonen Bern (Standorte Bern und Biel), Basel-Stadt und Basel-Landschaft angeboten.
- Die Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt die nationale Multiplikation von Mamamundo. Weitere Informationen finden Sie hier.
Eidgenössische Berufsprüfung und Modul 10
Ende Oktober fanden die Berufsprüfungen in Bern statt. Mit 20 Kandidat*innen haben deutlich mehr Personen die Prüfung absolviert als in den Vorjahren. Unsere Erleichterung ist deshalb gross, dass die Prüfungen ohne grössere Pannen durchgeführt werden konnten. Wir danken allen Beteiligten für ihren grossen Einsatz. Die Prüfungsresultate werden den Kandidat*innen ab Mitte Dezember kommuniziert.
Und bereits beginnen die Vorbereitungen für die nächste Durchführung der Berufsprüfungen im Herbst 2020:
Seit 2018 entscheidet die Kommission für Qualitätssicherung QSK über die Aufnahme ins Modul 10. Da das Modul als Prüfungsvorbereitung gedacht ist, hat die QSK beschlossen, die Aufnahmebedingungen praktisch mit den Zulassungsbedingungen zur Berufsprüfung gleichzusetzen. Damit soll verhindert werden, dass Personen das Modul besuchen, die formell nicht zur Prüfung zugelassen werden können, weil ihnen zum Beispiel noch ein Sprachnachweis fehlt.
Das obligatorische Abschlussmodul 10, welches auf die Berufsprüfung vorbereitet, findet 2020 in Luzern und Lausanne statt. In beiden Sprachregionen finden Informationsveranstaltungen zum Modul 10 und zur Berufsprüfung 2020 statt. Personen, welche bereits mehrere Module besucht haben und die meisten der weiteren Zulassungsbedingungen erfüllen, sind herzlich eingeladen.
Die Informationsveranstaltung in Zürich findet am 27. November 2019 statt; das Pdf-Dokument mit den Angaben zum Modul 10 bei Caritas Schweiz enthält auch den Hinweis zur Informationsveranstaltung.
- Beschreibung Modul 10 (PDF, 205.8 KB)
- Umsetzungsrichtlinien Modul 10 (PDF, 42.2 KB)
- Modul 10 bei Caritas Schweiz 2020 (PDF, 187.1 KB)
Wow, diese Frau schreit, spricht, singt, säuselt, tanzt, dolmetscht...
Die Frau heisst Zarina Tadjibaeva. Wir haben ihr aktuelles Theaterstück "VERSCHTEHSCH? - 1000 und 1 Fall einer Übersetzerin“ gesehen und empfehlen es wärmstes weiter.
Auf der Bühne steht eine Dolmetscherin, die vom Russischen,
Persischen und Tadschikischen ins Deutsche und wieder zurück übersetzt.
Sie
jongliert mit Bedeutungen, mit kulturellen Eigenheiten, mit unfreiwilligem
Humor, mit scheiternder und gelingender Integration. Sie taucht ein in fremde
Seelen, dramatische Schicksale, in die Missverständnisse des Alltags. Sie bringt die Zuschauer*innen zum Lachen, um kurz darauf alles wieder in sich zusammenfallen zu lassen. Sprachlos ob der Intensität und Dringlichkeit des Gesagten sitzt man da, ist überwältigt von der schieren Präsenz dieser Frau, und einmal mehr beeindruckt von der Komplexität des Berufs Dolmetschen.
Save the Date
Die nächste Fachtagung von INTERPRET findet am Samstag, 21. März 2020 statt. Im Fokus stehen juristische Fragen rund ums Dolmetschen. Reservieren Sie sich den Termin! Weitere Informationen folgen demnächst.
Neuigkeiten und Informationen unserer Partner
AOZ Medios
- AOZ Medios führt vom 10.12.19 bis zum 14.1.20 das Modul 3 «Dolmetschen über das Telefon, inkl. Einführung ins Videodolmetschen» durch. Weitere Informationen und Anmeldung bei AOZ Medios.
TikK neu beim PsychoSozialen Dienst der AOZ
TikK, das Kompetenzzentrum für interkulturelle Konflikte, konnte Mitte Jahr in die PsychoSozialen Dienste der AOZ integriert werden. Informationen und Angebote finden Sie bei www.tikk.ch.