Interkulturelles Dolmetschen
"Seit wir mit interkulturell Dolmetschenden zusammenarbeiten, verstehen meine Klienten ihre Rechte und Pflichten wirklich."
Personalberaterin, RAV St. Gallen
Vom Dialog zum Trialog
Damit die Zusammenarbeit in einem Gespräch zu Dritt, d.h. im Trialog gelingt, müssen sowohl die Fachpersonen als auch die interkulturell Dolmetschenden über entsprechende Kompetenzen verfügen und sich der veränderten Gesprächssituation sowie deren Konsequenzen bewusst sein.
In einem Dialog geschieht der Austausch zwischen Fach- und Zielperson direkt und unmittelbar. Die Fachperson bestimmt ganz selbstverständlich Gesprächsverlauf und Inhalt.
Zieht eine Fachperson eine dolmetschende Person bei, wird aus dem Dialog ein Trialog und die verbale Kommunikation verläuft über die dolmetschende Person. Diese nimmt in der trialogischen Situation faktisch eine machtvolle Position ein – sie versteht alles. Von ihrer Aufgabe im Gespräch her darf sie jedoch keine aktive Gestaltungsmacht innehaben: Die Fachperson agiert, die dolmetschende Person reagiert. Diese spannungsvolle Situation muss durch eine sorgfältige Rollenklärung gelöst werden:
"... metaphors depicting the interpreter as 'invisible' are misleading. ... the question is not whether the interpreter has agency but how to restrict this agency. This is the function of professional ethics." (Hanne Skaaden (2018): Invisible or invincible?)
Berufskodex der interkulturell Dolmetschenden
Zusammen mit der Qualifikation (siehe dazu Qualifizierungssystem INTERPRET) stellen die für qualifizierte interkulturell Dolmetschende verpflichtenden berufsethischen Grundsätze die Grundlage für deren professionelles Handeln dar. Professionelle interkulturell Dolmetschende orientieren sich an folgenden Standards:
- Unparteilichkeit: Sie ergreifen im Rahmen eines Dolmetschauftrags nicht Partei, sondern pflegen ein für den jeweiligen Gesprächskontext angemessenes Gleichgewicht zwischen professioneller Distanz und Empathie zu allen Gesprächsbeteiligten.
- Schweigepflicht: Sie halten sich konsequent an das Berufsgeheimnis;
- Transparenz: Sie legen beim Aufgebot, spätestens jedoch zu Gesprächsbeginn, alle Beziehungen zu den involvierten Personen offen.
- Rollenbewusstsein: Sie sind sich ihrer Rolle bewusst, nehmen diese im jeweiligen Gesprächskontext angemessen wahr und sorgen für ein klares Verständnis ihrer Rolle.
- Professionalität: Sie klären Gegenstand und Ziel eines Auftrags im Vorfeld ab und nehmen nur Aufträge an, denen sie sich persönlich und fachlich gewachsen fühlen. Sie bereiten sich thematisch, sprachlich und persönlich auf einen Dolmetscheinsatz vor.
- Reflexion uns Psychohygiene: Sie reflektieren ihre Tätigkeit. Sie bemühen sich nach einem Auftrag um ein Feedback zur geleisteten Arbeit und werten ihre Einsätze aus. Sie ergreifen geeignete Massnahmen für den Schutz ihrer Gesundheit und die Verarbeitung belastender Einsätze (z.B. Supervision).
- Berufliche Weiterbildung: Sie aktualisieren und entwickeln ihre sprachlichen, fachlichen und methodischen Kompetenzen und Kenntnisse regelmässig durch formelle und informelle Weiterbildung weiter.
Beitrag der Fachpersonen
Auch Fachpersonen tragen wesentlich zur professionellen Zusammenarbeit bei, indem sie
- der Vermittlungsstelle vorgängig kommunizieren, worum es beim Dolmetscheinsatz geht;
- für den geplanten Einsatz wichtige Kompetenzen und Qualifikationen der Dolmetschenden einfordern;
- bei jedem Einsatz ein kurzes Briefing und Debriefing mit der dolmetschenden Person abhalten;
- die Gesprächsführung bewusst übernehmen und Unsicherheiten ansprechen;
- für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen (genügend Zeit und Raum, Sitzordnung, Augenkontakt, etc.);
- eine einfache, klare Sprache verwenden;
- ihre Redebeiträge so strukturieren, dass das konsekutive Dolmetschen begünstigt wird.
Dolmetschen vor Ort
Die grosse Mehrheit der Dolmetscheinsätze in der Schweiz findet vor Ort statt, d.h. alle Gesprächspartner*innen sind physisch anwesend.
Wann eignet sich eine Verdolmetschung vor Ort?
Die physische Anwesenheit erleichtert der interkulturell dolmetschenden Person die Erfüllung ihrer ohnehin anspruchsvollen Aufgabe: Körpersprache und nonverbale Signale, welche bekanntlich einen grossen Teil der Kommunikation ausmachen, aber auch Visualisierungen und weitere, nicht-sprachliche Hilfsmittel sind so für sie direkt erfassbar und können bei der Verdolmetschung berücksichtigt werden.
Das Dolmetschen vor Ort eignet sich daher insbesondere für
- planbare, umfangreiche Gespräche
- mit komplexen, möglicherweise emotionalen Inhalten oder
- mit kulturell bedeutsamen Inhalten.
Dolmetschen auf Distanz
Das Dolmetschen auf Distanz (via Telefon und Video) wird durch die technischen Errungenschaften erleichtert, die Einsatzvermittlung effizienter. Es birgt aber auch einige Hürden und Gefahren. Vor- und Nachteile des Dolmetschens auf Distanz sowie dessen Einsatz- und Gelingenskriterien müssen unbedingt in Betracht gezogen werden.
Der BDÜ hat zu dieser Frage ein äusserst differenziertes Positionspapier entworfen (siehe rechte Spalte). INTERPRET unterstützt die Inhalte und Schlussfolgerungen voll und ganz.
Dolmetschen via Telefon
Das Dolmetschen via Telefon eignet sich insbesondere für
- Notfälle,
- unvorhergesehene, nicht planbare Einsätze oder
- für voraussichtlich kurze und einfache Gespräche.
Für das Dolmetschen via Telefon ist wichtig, dass die Gesprächsbeteiligten die spezifischen Anforderungen und Grenzen des Mediums berücksichtigen. Unter anderem muss bedacht werden, dass die dolmetschende Person von einem grossen Teil der nonverbalen Kommunikation (Mimik, Gestik) ausgeschlossen ist. Auch kann sie nicht antizipieren, in welche Richtung das Gespräch geht oder wer als nächstes etwas zu sagen plant. Diesen besonderen Umständen Rechnung zu tragen, ist Aufgabe der Gesprächsleitung.
Besondere Herausforderungen an Dolmetschende
Für die Dolmetschenden bedeuten Einsätze via Telefon, dass sie sich sehr kurzfristig auf eine Situation einstellen müssen. Während des Gesprächs ist es für die Dolmetschenden viel schwieriger, involviert zu bleiben und allenfalls Rück- oder Verständnisfragen zu stellen. Diese besonderen Herausforderungen sollten im Rahmen einer spezifischen Weiterbildung thematisiert und die entsprechenden Kompetenzen angeeignet werden (z.B. mittels des Weiterbildungsmoduls M3 von INTERPRET, siehe Aus- und Weiterbildungsmodule).
Dolmetschen via Video
Die rasante technologische Entwicklung der vergangenen Jahre hat vor dem Dolmetschen nicht haltgemacht. Insbesondere das Dolmetschen per Video eröffnet den Vermittlungsstellen sowie ihren Kundinnen und Kunden neue Perspektiven. Das Videodolmetschen verbindet Vorteile des Dolmetschens vor Ort (z.B. das Erfassen von Körpersprache und nonverbalen Signalen) mit den Vorteilen des Telefondolmetschens (schnelle Organisation von Dolmetschenden für unvorhergesehene, nicht planbare Situationen, Ortsunabhängigkeit).
Von Januar bis Dezember 2018 führte INTERPRET in Zusammenarbeit mit vier Vermittlungsstellen ein Pilotprojekt Videodolmetschen durch. Als technischer Partner fungierte die SAVD Videodolmetschen GmbH, welche in Deutschland und Österreich sehr aktiv ist. Das Pilotprojekt bestätigte, dass Fachpersonen in der Schweiz – nicht zuletzt dank der guten Erfahrungen mit dem Dolmetschen vor Ort – eher zurückhaltend sind gegenüber dem Videodolmetschen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass dieses Dolmetschformat mittelfristig an Bedeutung gewinnen wird.
Herausforderungen für die Beteiligten
Auch das Dolmetschen via Video birgt für die Beteiligten verschiedene Herausforderungen. Diese sind zum einen technischer Art (Verbindungsstärke, Ton- und Bildqualität, Equipment), zum anderen muss aber auch der Umgang mit dem Setting (Anordnung, Bildausschnitt, eingeschränkte Sicht etc.) gelernt werden.
Video-Mediated Interpreting
Die Homepage Video-Mediated Interpreting wird vom Centre for Translation Studies der University of Surrey unterhalten. Inhaltliche Grundlage der Homepage bilden drei EU-Projekte zum Videodolmetschen in rechtlichen Verfahren. Die AVIDICUS-Projekte (Assessment of Video-Mediated Interpreting in the Criminal Justice System) dauerten von 2008 bis 2016.