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Einsatzbereich Gesundheit


​Dolmetschen als Schlüssel zur Chancengleichheit

Positionspapier der FMH, März 2021

"Mehr als die Hälfte des Gesundheitspersonals ist oft mit sprachlichen Hürden konfrontiert. Zur Überwindung dieser Schwierigkeiten leistet das professionelle und familienunabhängige Dolmetschen entscheidende Dienste. Sei es in Bezug auf effiziente und effektive Anamnese, Kommunikation von Diagnose, Therapie- und Verhaltensempfehlungen, der Erhöhung der Adherence oder auf den Zugang zur medizinischen Grundversorgung."


Interkulturell Dolmetschende für medizinische Fachpersonen (Lernplattform TRIALOG)
Der Hausarzt Dr. Flubacher will seinem türkischsprachigen Patienten, Herrn Yilmaz, die Diagnose eines leichten Diabetes eröffnen. Aus Erfahrung weiss er, dass auch vergleichsweise harmlose Diagnosen Ängste und Verunsicherungen bei den Patienten auslösen können – umso mehr, wenn die Kommunikation durch Sprachbarrieren erschwert ist. Für das Gespräch hat er deshalb eine interkulturell Dolmetschende aufgeboten.

Weitere Filme und Interviews finden Sie auf der Lernplattform.


Einsatz und Nutzen des Dolmetschens

Mit über 50 Prozent aller Einsatzstunden wird das interkulturelle Dolmetschen im Gesundheitsbereich am meisten nachgefragt. Nutzen und Notwendigkeit professioneller Dolmetschleistungen sind in diesem Bereich breit anerkannt.

Der berufliche Alltag im Gesundheitswesen ist geprägt von Begegnungen. Ratsuchende zu verstehen, um gemeinsam der Situation angepasste Massnahmen zu wählen und umzusetzen, ist ein wesentlicher Teil der Arbeit. Umfragen zeigen, dass mehr als die Hälfte des Gesundheitspersonals oft mit sprachlichen Hürden konfrontiert ist. Aus der Zusammenarbeit mit professionellen interkulturell Dolmetschenden ergibt sich ein konkreter Nutzen:

  • Effizienzsteigerung
  • Einhalten juristischer Rechte
  • Wahrung ethischer Grundsätze


Die Infokarte (dt-fr oder dt-it) kann als Printprodukt kostenlos bei INTERPRET (info@inter-pret.ch) bestellt werden.


Finanzierung des Dolmetschens

Die Finanzierung von Dolmetschleistungen ist weder im stationären und noch im ambulanten Bereich definitiv geklärt. Die Kostenübernahme durch die Sozialversicherungen ist nicht einheitlich geregelt.

Unterschiedliche Akteure fordern eine Klärung und Lösung. 

Krankenversicherung

Im Bundesgesetz über die Krankenversicherung wird die Bedeutung und Finanzierung des interkulturellen Dolmetschens nicht geregelt. Die OKP übernimmt Kosten für Leistungen, die der Diagnose oder Behandlung einer Krankheit dienen; die Leistungen müssen zudem wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Die Tarifpartner sind sich nicht einig, wie weit die Kosten einer Verdolmetschung über die OKP abgerechnet werden können.

Unfallversicherung​

Erfordern die Abklärung und Behandlung von Unfallfolgen Übersetzungs- oder Dolmetschleistungen, werden diese Kosten von der Unfallversicherung übernommen. Institutionen für Rehabilitation und Therapie (z.B. Rehakliniken der SUVA) greifen daher häufig auf professionelle Dolmetschende zurück.

​Invalidenversicherung​

Ebenfalls geregelt ist die Finanzierung von Dolmetschleistungen für private polydisziplinäre Gutachterstellen und regionalärztliche Dienste (RAD). Gemäss dem Tarifvertrag zwischen privaten Gutachterstellen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) werden die effektiven Dolmetschkosten separat verrechnet.


Zum Beispiel:

Der junge Mann aus Afghanistan wird am Freitagnachmittag von seinem Hausarzt an die Notaufnahme des Kantonsspitals Aarau verwiesen. Es besteht ein Verdacht auf eine offene Tuberkulose, der junge Mann verstand beim Hausarzt aber weder den Diagnoseverdacht noch die möglichen akuten diagnostischen und therapeutischen Folgen, die sich daraus ergeben. Wie erklärt der Notfallarzt dem fremdsprachigen Patienten die Diagnose, die komplexen Abklärungen oder der mehrtägige Aufenthalt im Isolationszimmer? Dank dem Telefondolmetschdienst gelingt es dem Notfallarzt am Freitagabend den jungen Afghanen über die eingeleiteten Abklärungen und Behandlungen kurz zu informieren. 

Eine umfassende Klärung der komplexen Diagnose und Therapie wird erst am Montag mit einem Dolmetschergespräch vor Ort möglich sein. Dem Hausarzt standen diese Kommunikationsmöglichkeiten nicht zur Verfügung, eine kostenintensivere notfallmässige Hospitalisierung war darum unumgehbar.

Dr. med. Roland Fischer, Assistenzarzt im Hausarztcurriculum


Flickwerk von Lösungen

Aufgrund der unklaren Rahmenbedingungen behelfen sich die Akteure mit unterschiedlichen Lösungen:

  • Grössere Spitäler, Universitätskliniken und Psychiatrien arbeiten in der Regel mit professionellen interkulturell Dolmetschenden. Finanziert werden diese über Leistungsverträge mit den Kantonen, über Global- oder Abteilungsbudgets der Institutionen oder über zusätzliche Fonds. 
    Das Netzwerk Swiss Health Network for Equity (health-equity-network.ch) nimmt bezüglich der Bedeutung der einwandfreien Verständigung und folgedessen der Zusammenarbeit mit professionellen interkulturell Dolmetschenden klar Stellung.
  • In privaten Arzt- und Psychotherapiepraxen scheitert die Zusammenarbeit mit professionellen Dolmetschenden mehrheitlich an der fehlenden Finanzierung - es sei denn, die Ärzt*innen kommen für die Dolmetschkosten selber auf. 
  • Ebenfalls schwierig gestaltet sich der Beizug von interkulturell Dolmetschenden in Therapie- und Beratungsstellen. Die Kosten müssen von den Institutionen selber getragen werden. Dies ist zum Beispiel beim Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer des Schweizerischen Roten Kreuzes der Fall.

Kostenübernahme bei Sozialhilfeempfängern

Dolmetschkosten für ärztliche Konsultationen werden teilweise von der Sozialhilfe übernommen. Die Praxis ist jedoch auch hier sehr unübersichtlich, die Klärung der Finanzierung liegt in der Kompetenz einzelner Sozialdienste (siehe Rubrik Soziales). 

Kostenübernahme bei Asylsuchenden

Das BAG fordert im Bericht Gesundheitsversorgung für Asylsuchende in Asylzentren des Bundes und in den Kollektivunterkünften der Kantone die Sicherstellung der sprachlichen Verständigung durch professionelle Dolmetschende via Telefon und vor Ort.  

  • Die Dolmetschkosten, die innerhalb der Strukturen der Asylunterkünfte des Bundes anfallen, werden vom SEM übernommen. Dies schliesst die Dolmetschkosten im Rahmen der Tätigkeit der mit den Asylunterkünften des Bundes zusammenarbeitenden Partner - respektive Zentrumsärzte ein. 
  • Dolmetschkosten, die in den Strukturen der regulären medizinischen Gesundheitsversorgung anfallen - also ausserhalb der Strukturen der Bundesasylzentren - sind hingegen nicht eingeschlossen. Hier liegt es in der Kompetenz der Kantone, die Versorgungssicherheit und die Frage der Dolmetschkosten anzugehen. 

Gutes Beispiel Kanton Waadt

Die Praxis in den Kantonen ist auch hier sehr unübersichtlich. Als gutes Beispiel voran geht der Kanton Waadt. Die medizinische Versorgung von Migrant*innen innerhalb der EVAM wird durch das Gesundheitsnetzwerk RESAMI gewährleistet. Das medizinische Personal arbeitet mit professionellen interkulturell Dolmetschenden, die Kosten werden vom Kanton getragen. Das Gesundheitsversorgungssystem der Waadt wird z.B. durch das UNHCR beschrieben (Link). 

Projekte im Rahmen der Kantonalen Integrationsprogramme KIP

Die Förderung des interkulturellen Dolmetschens ist ein verpflichtender Bestandteil der Kantonalen Integrationsprogramme. Im diesem Rahmen haben einzelne Kantone Projekte lanciert, die den Bezug und die Finanzierung von interkulturell Dolmetschenden z.B. in privaten Arztpraxen oder für Mütter- und Väterberatung ermöglichen. Diese Pilotprojekte können durch die KIP im Rahmen einer Anstossfinanzierung für max. vier Jahre unterstützt werden. 

  • Der Kanton Graubünden finanziert interkulturell Dolmetschende in privaten Arztpraxen mit einem Gutscheinsystem:
    Integration Graubünden: Interkulturelles Dolmetschen
  • Der Kanton Schaffhausen stellt aus einem Fonds finanzielle Mittel für das interkulturelle Dolmetschen und Vermitteln im Gesundheitswesen zur Verfügung. Frei praktizierende Ärzt*innen und Therapeut*innen können ein Gesuch stellen:
    Integres: Kostengutsprache Gesundheitswesen

INTERPRET sind keine weiteren Projekte für Ärzt*innen bekannt (Stand Frühling 2019). Weitere Informationen zu ähnlichen Projekten (laufende oder abgeschlossene) finden Sie in der Rubrik Rahmenbedingungen.


Handlungsbedarf ist erkannt

Etliche Akteure des Gesundheitswesens haben diese missliche Lage erkannt und diesbezüglich Stellung bezogen, u.a. sind dies:

  • FMH, Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte
  • Bundesamt für Gesundheit (BAG)
  • Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK)
  • Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK)
  • H+ (Die Spitäler der Schweiz) und Swiss Hospitals4Equity

Auch nationale und kantonale Vorstösse wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach eingereicht, unter anderem von NR Sibel Arslan (19.4279), NR Niklaus-Samuel Gugger (19.4357), NR Marianne Streiff-Feller (17.3077), NR Luc Recordon (08.3642) oder NR Anne-Catherine Menétrey-Savary (06.428) sowie vom Regierungsrat des Kantons Zürich (Postulat 301/2016 und RRB Nr. 1237).

Eine konkrete und konsequente Umsetzung der Forderungen steht aber aus. Die Verantwortlichkeiten werden zwischen Bund, Kantonen und Leistungserbringern hin- und hergeschoben. 

Ich brauche eine interkulturell dolmetschende Person

In der Regel läuft die Vermittlung einer interkulturell dolmetschenden Person über die regionalen Vermittlungsstellen. Sie vermitteln professionelle Dolmetschende vor Ort und via Telefon und Video.

In der Datenbank der ikDV können Sie direkt nach zertifizierten interkulturell Dolmetschenden suchen.

Ich interessiere mich für die Ausbildung

Die Ausbildung wird von Institutionen in den verschiedenen Regionen durchgeführt. Kursangebote, Termine etc. finden Sie in der Rubrik Aktuelle Kursangebote.

Das Qualifizierungssystem von INTERPRET (Zertifikat INTERPRET, Eidg. Fachausweis) wird in der Rubrik Qualifizierungssystem INTERPRET erklärt. 

Weitere Informationen erhalten Sie bei der Qualifizierungsstelle (031 351 38 29) von 9:00 bis 12:30.